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Ein Abgesang. Tod in Venedig, reenacted

Barbara Basting

Sehr geehrter Präsident der Biennale von Venedig, sehr geehrter Paolo Baratta,

 

selten habe ich die Biennale so unzufrieden und müde verlassen wie dieses Jahr. Nein, es lag nicht an den unzähligen Kilometern, die ich wie jedes Mal zurückgelegt habe, um Giardini, Arsenale, Corderie zu sehen. Es lag an der Kunst, die ich auf diesen Kilometern zu sehen bekommen habe.
»Viva arte viva« — schon das Motto der Hauptausstellung der diesjährigen Biennale hätte mich eigentlich misstrauisch machen müssen. Nicht dass irgendjemand auf diese Motti noch besonders viel geben würde; sie haben sich schon bei den letzten Ausgaben oft als recht hohl entpuppt. Aber nach dem Besuch der Schau ist nun vollends klar: »Viva arte viva« kaschiert mit seiner klappernden ­Albernheit einen Kollaps. Es ist die Implosion der Idee eines irgendwie sinnvollen Überblicks zur zeitgenössischen Kunst. Ein Abgesang. Tod in Venedig, reenacted.
Dabei ist es ja keinesfalls so, dass die gezeigte Kunst, oder besser gesagt, einzelne Werke, nicht mehr zu uns sprechen würden oder uns nichts mehr zu sagen hätten. Nur will es der Hauptschau partout nicht mehr gelingen, das herzustellen, was doch einmal die Idee war: als Ergänzung zur notwendigerweise chaotischen Vielfalt der Länderpavillons ein irgendwie schlüssiges Bild der Kunst der Gegenwart zu zeichnen, bei dem das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Vielleicht hat niemand diesen Kollaps besser geahnt als Harald ­Szeemann mit seiner letzten Ausgabe von 2001, für die er die Leit­idee (oder war es eine Leitschnapsidee?) »Plateau de l‘humanité« (wahlweise zu übersetzen mit »Plateau der Menschheit« oder »der Menschlichkeit«) gewählt hatte. Die Ausstellungsarchitektur versinnbildlichte dieses menschliche Plateau mit einer schiefen Ebene im Hauptpavillon. Ausgerechnet. War das visionär gemeint oder gar ironisch? Was ist seither nicht alles ins Rutschen gekommen!
Der Kollaps, die Implosion der Biennale vor unser aller Augen hat aber nicht nur mit der dieses Mal besonders schlechten Hauptschau zu tun, sondern ist auch eine Folge ihrer Expansion und Explosion vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten. Genauer gesagt: einer flächenmäßigen Überdehnung sowie einer Explosion der Besucherzahlen nebst der internationalen Aufmerksamkeit. All das können Sie als Präsident natürlich als Erfolg verbuchen. Als die Art von Erfolg jedenfalls, wie ihn zahlenfixierte Politiker und die meisten Geldgeber lieben, auf die die Biennale angewiesen ist. Nicht nur dieser Erfolg macht Sie zu einem geschätzten Kulturimpresario. Sie haben enorm viel geleistet, zum Beispiel die Biennale in den Jahren Berlusconis vor der völligen Verramschung bewahrt. Aber Ihr Erfolg hat auch einen Preis. Er besteht in Kompromissen aller Art, beispielsweise gegenüber den Galerien, ohne die die Biennale finanziell nicht zu stemmen wäre. Jedenfalls nicht so, wie sie jetzt ist.
Und nun verstellt dieser Erfolg wohl definitiv den Blick dafür, dass der Riesenkahn Kunstbiennale dringend eine Rundumerneuerung bräuchte. Er verhindert auch einen Befreiungsschlag. Denn wäre es zum Beispiel nicht endlich an der Zeit, sich zu verabschieden von einem gewichtigen Teil der Biennale-Erbmasse, der unseligen und immer unmöglicheren Verklammerung von Länder-, Völker-, Leistungs- und Trendschau? Wie wäre es mit dem offensiven Eingeständnis, dass die Epoche der notdürftig zusammengeklempnerten Kunst-Erzählungen à la »Viva Arte Viva« ihrem Ende zuneigt, weil selbst die mittelprächtigsten Kunstwerke derlei nicht verdient haben?

Wäre es nicht auch angesagt, wieder echte Fragen an die Kunst heranzutragen, nicht nur rhetorisch polierte Motti über sie zu stülpen? Fragen, die gerne auch wehtun dürfen, weil das, was heute rundherum in der Welt passiert, eine Kunst, die vor allem der Ablenkung und Beschwichtigung dient, ziemlich brutal entwertet. Fragen etwa nach aktuellen Varianten der Zensur und der Vereinnahmung von Kunst. Oder Fragen nach dem Zustand der Fundamente des heutigen Kunstbetriebs, die in der frühen Moderne gelegt wurden und heute ebenfalls als komplett sanierungsbedürftig erscheinen. Die Architekturbiennale von Rem Koolhaas 2014, die so einen Horizont unter dem Titel »Fundamentals« für die Architektur aufriss, war ein exemplarischer Schritt in diese Richtung.
Die Biennale von Venedig müsste auch endlich wieder mehr sein als nur eine notdürftig verbrämte Fratze der ökonomischen Machtverhältnisse im Kunstbetrieb. Wäre es nicht an der Zeit, ihre Tore noch viel beherzter als bisher für neue Teilnehmer zu öffnen, beispielsweise aus Afrika? Und warum nicht endlich einmal die Nationenpavillons im großen Stil tauschen? Warum zum Beispiel nicht einmal anregen, dass alle ehemals in den Kolonial- und Sklavenhandel verstrickten Länder ihren Pavillon den Ländern zur Verfügung stellen (selbstverständlich mit dem dazugehörigem Ausstellungsbudget), von deren Ausbeutung sie einst profitiert haben und oft noch heute profitieren?
Natürlich ist die Biennale, dieser überfrachtete Kahn, keine schnittige Supersammleryacht, wie sie zur Preview vor den Giardini ankern (täusche ich mich, dass wir da in den letzten Jahren schon imposantere Modelle gesehen haben?). Sie ist genauso schwer steuerbar wie diese Kreuzfahrtriesen, die fast täglich durch den Giudecca-Kanal geschleppt werden und paradoxerweise mit den Touristenmassen, die sie bringen, ganz ähnlich wie die Biennale ebenso zum Erhalt wie zur Zerstörung Venedigs beitragen. Man kann, ja darf das Ruder bei solchen Gefährten nicht abrupt herumwerfen. Trotzdem: Ich möchte von der Biennale gerne mal wieder wirklich herausgefordert werden. Ich wünsche ihr Mut zu pointierten, schrägen, neugierigen, experimentellen Themensetzungen und sowieso zu mehr Klasse statt Masse.
Natürlich mache ich mir keine Illusionen. Denn die Biennale ist auch nur Teil eines größeren Bildes. Wie oft etwa ist schon festgestellt worden, dass sie daran krankt, mit ihren Pavillons eine überkommene Weltordnung und Kulturhierarchie zu zementieren. Daran ändert die Tatsache nichts, dass unter Ihrer Präsidentschaft zuletzt regelmäßig neue Pavillons und Nationen hinzuaddiert wurden. Denn immer sichtbarer ist nicht nur diese biennaleske Weltordnung samt all den Ordnungs- und Deutungsmustern, die sich von ihr ableiten, genauso obsolet wie die zugehörigen Kataloge der Bewertungskriterien für Kunst, diese ins Stottern geratenen Sortiermaschinen. Lange Zeit hieß es, dass Kunst dazu dienen solle, uns in unseren angeblich biederen Alltagsgewissheiten zu verunsichern. Heute werden wir weniger durch die Kunst verunsichert, die ziemlich berechenbar geworden ist, als durch vieles, was sonst so gerade in der Welt passiert. Nicht zuletzt deswegen wirkt der Jubelruf »Viva arte viva« samt der dazugehörigen Schau so naiv und belanglos, dass es zutiefst verstörend ist.
Natürlich gibt es immer noch die Möglichkeit, dass das Ganze von Ihnen heimlich subversiv gemeint gewesen ist. In diesem Fall bitte ich das Missverständnis zu entschuldigen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Barbara Basting

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