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Till A. Heilmann: Digitalität als Taktilität
Digitalität als Taktilität
(S. 125 – 134)

Till A. Heilmann

Digitalität als Taktilität
McLuhan, der Computer und die Taste

PDF, 10 Seiten

Marshall McLuhans Medientheorie sieht von einer genauen Betrachtung der technischen Funktionsweise digitaler Medien ab. Der Begriff der Taktilität, von McLuhan als Einbezug aller Sinne und umfassender Übersetzbarkeit von Erfahrung und Wissen beschrieben, bietet jedoch die Möglichkeit, die historische wie systematische Untersuchung digitaler Medien von neuer Seite her anzugehen. Digitalität kann als eine historisch verortbare, technische Implementierung des allgemeinen Prinzips der Taktilität verstanden werden. Neben seiner unspezifischen Verwendbarkeit und der Fähigkeit zur Repräsentation und Integration älterer Medien zeigt sich der taktile Charakter des Digitalcomputers in der Gestik und Technik des Tastendrückens. Unverzichtbares Bedienelement digitaler Geräte, fungiert die Taste als maschinelles Pendant der taktilen Vermittlungsleistung von Hand und Sprache; als apparative Positivierung der paradigmatisch-syntagmatischen Logik des Symbolischen ist sie eine Technik der Artikulation.

  • Digitale Medien
  • Marshall McLuhan
  • Taste
  • Taktilität
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Till A. Heilmann

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Digitalität als Kulturprinzip; Digitaltechnik und Arbeit; nordamerikanische und deutschsprachige Medienwissenschaft; Schriftlichkeit und Algorithmus; Standardisierung und Normierung. Er studierte Germanistik und Medienwissenschaft an der Universität Basel, wo er 2008 mit einer Arbeit zur Geschichte des Computers als Schreibmaschine promovierte.

Weitere Texte von Till A. Heilmann bei DIAPHANES
Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.): Zeitschrift für Medienwissenschaft 3

Medien zeichnen auf – sie generieren und codieren Daten, machen sie verfügbar für ästhetische Prozesse wie für Prozeduren des Wissens. Aufzeichnen ist ein basaler Vorgang analoger und digitaler Medien, der eine Vielzahl von Verfahren – vom handschriftlichen Notieren bis zum digitalen Recording – umfasst: So sind die Grafien von Licht, Bewegung, Ton in die Bezeichnung der Medien Fotografie, Kinematografie, Phonografie eingegangen. Sie verweisen auf Prozess und Resultat des Aufzeichnens gleichermaßen. In diesem ›Und‹ liegt eine ganze Epistemologie des Medialen begründet: Es umreißt das Vorläufige und Unwägbare, das Zusammenwirken von Intentionalität und Zufall, das jedem
Aufzeichnen innewohnt. Dies provoziert nicht zuletzt Fragen danach, was sich wie eigentlich aufzeichnet. Was genau passiert im Prozess des Aufzeichnens? Inwieweit ist er kontrollierbar? Welche Verfahren, Gesten und Rhetoriken des Aufzeichnens bestimmen das Feld des Medialen? Welches Gewicht können Medientechniken dabei für sich beanspruchen? Und inwieweit hängt die Wertschätzung eines Mediums von seinem Vermögen ab, etwas aufzeichnen zu können? Gleichzeitig sind an das Aufzeichnen enorme Versprechen gekoppelt: auf einen Zugang zur Wirklichkeit, auf eine neue Sicht der Welt, auf Möglichkeiten, dem Vergessen zu entgehen.

Diesen Überlegungen gehen die Beiträge des Schwerpunkts nach. Insgesamt umfassen sie eine historische Spanne von den Gründerjahren der Fotografie bis zu heutigen Aufzeichnungspraktiken. Die verschiedenen Orte und Zeiten, die die einzelnen Beiträge aufsuchen, entwerfen en passant eine Mediengeschichte der Aufzeichnung, die das Nebeneinander und Zueinander verschiedener Techniken und Praktiken dokumentiert. Dass hier also nicht einzelne Verfahren in den Mittelpunkt gestellt werden, hat seinen methodischen Grund darin, dass sich die medialen Arrangements als durch und durch heterogen erweisen: Ausgehend von einem Akteur, einem Werk, einem Gegenstand zeigt nämlich
jeder einzelne der vorliegenden Beiträge, wie analoge und digitale Verfahren, von Hand ausgeführte Praktiken und technische Medien miteinander in Kontakt treten, wie verschiedene Medien- und Kulturtechniken, Gegenstände und Institutionen Allianzen eingehen: Zeichnung und Fotografie, Malerei und Digitalaufnahme, Bibliothek und Mikrofilm, Partitur und Film, Notizblock und Smartphone, Architektur und Wissenschaft. Diese keineswegs erschöpfende Aufzählung gibt einen Eindruck davon, wie sehr die verschiedenen Techniken und Praktiken innerhalb der Mediengeschichte miteinander verstrickt waren und sind – eine Geschichte, die die fragwürdige Unterscheidung zwischen ›alten‹ und ›neuen‹ Medien genauso torpediert wie die Suche nach einer Essenz oder Wahrheit einzelner Medien.

Allen Beiträgen ist gemeinsam, dass sie ihr Augenmerk auf den Akt des Aufzeichnens richten. Außerdem nehmen sie die institutionellen Bedingungen in den Blick und die Widerstände, die sich sowohl aus dem Aufzuzeichnenden als auch den Apparaten und Techniken ergeben, mit denen aufgezeichnet werden soll. Diese drei Aspekte – Prozesshaftigkeit, Widerständigkeit und institutionelle Rahmung – konturieren das spezifisch medienwissenschaftliche Interesse, das die einzelnen Beiträge den verschiedenen Aufzeichnungspraktiken und ihren Resultaten
entgegenbringen.