Als Anthropologe und Akademiker bin ich außerstande, etwas mit meinen Händen zu machen, Schreiben und Cellospielen ausgenommen. Allerdings habe ich in Lappland ethnografische Feldforschung betrieben und war, zumindest damals, imstande, mit einer Rentierherde zurechtzukommen. Aufgrund des Charakters dieser Feldforschung habe ich mich intensiv mit den Gepflogenheiten der ökologischen Anthropologie befasst, d.h. mit der Untersuchung der Beziehungen zwischen Menschen und ihrer Umgebung – all das inbegriffen, was das Leben ermöglicht. Aber ich interessierte mich auch für das Studium all dessen, was man heute als materielle Kultur bezeichnet. Früher einmal waren die ökologische Anthropologie und das Studium der materiellen Kultur so eng miteinander verknüpft, dass sie praktisch ununterscheidbar waren. Doch dem ist heute nicht mehr so. Ja, in den letzten Jahren scheinen Studierende der ökologischen Anthropologie und Studierende der materiellen Kultur in zunehmendem Maße aneinander vorbeizureden. Das ist recht seltsam, da sich sowohl die ökologischen Anthropologen als auch die Erforscher der materiellen Kultur umfassend mit den materiellen Bedingungen des Lebens beschäftigen – damit, wie Leben in materieller Hinsicht möglich ist. Ökologen sagen, wir seien in ein Gewebe des Lebens eingebettet, das unsere Beziehungen zu allen Arten nicht-menschlicher Organismen umfasst. Und die Erforscher der materiellen Kultur sagen, wir seien Menschen, die in komplizierte Netzwerke von Personen und Dingen eingebettet sind. Wir sprechen also alle von Beziehungen, Geweben des Lebens, Netzwerken von Personen und Dingen, und dennoch sprechen wir verschiedene Sprachen.
Heutzutage ist es beliebt geworden, »Nicht-Menschen« in die Geschichten einzubeziehen, die wir über uns erzählen. Sowohl ökologische Anthropologen als auch Erforscher der materiellen Kultur haben viel über die Beziehungen zwischen Menschen und Nicht-Menschen zu sagen. Doch es stellt sich heraus, dass sie sich auf sehr unterschiedliche Nicht-Menschen beziehen. Für ökologische Anthropologen zählen zur Kategorie des Nicht-Menschlichen andere Tiere, Pflanzen, die Erde, das Wetter und Klima, der Sonnenschein usw. Doch Erforscher der materiellen Kultur lassen das alles außen vor und beziehen sich stattdessen schlicht und einfach auf Artefakte. Tatsächlich fordern sie, dass jede Untersuchung der Menschen all die Artefakte einschließen muss, mit denen wir uns selbst umgeben, da gerade die Tatsache, dass wir uns mit solchen Artefakten umgeben, uns unverkennbar menschlich macht. Tatsächlich entspricht das nicht ganz der Wahrheit, da viele menschliche Gesellschaften sich nicht groß um Artefakte kümmern, während viele Nicht-Menschen sehr stark mit Dingen wie Landschaft und Ort befasst sind. Die Unterscheidungen, die zwischen Menschen und Nicht-Menschen getroffen werden, sind daher häufig nicht so zuverlässig wie gemeinhin angenommen.
Meines Erachtens ist dies jedoch Ausdruck eines tieferliegenden Problems, das in der Anziehungskraft des Konzepts der Materialität liegt. Mir scheint, dass die Betonung der Materialität in den Untersuchungen zur materiellen Kultur einem wirklich ökologischen Verständnis der Kraftfelder und Kreisläufe der Materialien, aus denen das Gewebe des Lebens besteht, eher hinderlich ist. Beim Reden über die Beziehungsnetzwerke zwischen Menschen und Objekten, den Materialien, den Kräften, den Kreisläufen, der Energie, sprich all dem, was das Leben möglich macht, wurde etwas ausgelassen. Das ist das Problem, das ich hier thematisieren möchte. Doch dabei stoßen wir sofort auf eine Schwierigkeit. Was meinen Gelehrte, Fachleute, ja
selbst Praktiker eigentlich, wenn sie über Materialität, über die mate-rielle Welt sprechen? Als ich mich in der Literatur nach Definitionen von Materialität umsah, stellte ich fest, dass Autoren, die das Wort verwenden – obwohl sie dazu neigen, sich sehr gelehrt auszudrücken
als ob alle bereits wüssten, was dieses Wort bedeutet – tatsächlich keine Ahnung haben. Sie erinnern mich an den hl. Augustinus, der
in seinen Bekenntnissen erklärt, wenn ihn jemand nach der Zeit frage, könne er ihm diese nennen, doch wenn ihn jemand frage, was die Zeit sei, habe er keine Antwort darauf. Mit der »Materialität« verhält es sich ähnlich. Nehmen wir an, ich hätte irgendein Objekt bei mir, sei es aus Stein, Metall, Backstein oder aus welchem Stoff auch immer. Die Frage »Aus was für einem Material ist das?« könnte ich beantworten, doch die Fragen »Was ist Material?« oder »Worin besteht die Materialität dieses Objekts?« würden mich in Verlegenheit bringen. Fragte man beispielsweise Archäologen, was sie unter Materialität verstehen, erhielte man wahrscheinlich zwei sehr unterschiedliche Antworten. Einerseits würden sie sagen, die Materialität von etwas besteht in seiner rohen Physikalität. Ein Fels ist ein Fels
ist ein Fels. Nicht mehr und nicht weniger. Das ist das, was der Geologe untersucht: Es ist hart, es ist fest, es ist physisch. Doch andererseits würden sie sagen: »Ja, aber wir benötigen ein Konzept wie Materialität deshalb, um verstehen zu können, wie Menschen sich Dinge wie Felsen oder Holzstücke innerhalb bestimmter sozialer und historischer Kontexte aneignen.« Materialität meint also zugleich den harten Stoff selbst und die Art und Weise, wie dieser Stoff verschiedenen menschlichen Zwecken dienstbar gemacht wird. Der Idee der Materialität wohnt daher eine gewisse Doppeldeutigkeit inne, insofern sie sich in dem einen Moment auf den Stoff der Natur bezieht und im nächsten darauf, wie die Menschen, wie die Gesellschaft sich diesen Stoff aneignet. Und mit dieser Doppeldeutigkeit scheint das Konzept der Materialität die Trennung zwischen Natur und Gesellschaft zu reproduzieren, eine Trennung, die sich in den Sozialwissenschaften in jüngerer Zeit als extrem problematisch erwiesen hat, sodass sich viele von uns darum bemüht haben, sie zu überwinden. In der Idee der Materialität wird uns die Welt als physische Grundlage der Existenz und zugleich als eine Externalität präsentiert, als eine Welt »da draußen«, die dem Verständnis einer transzendenten Menschheit und der Aneignung durch sie offensteht. Mehr oder weniger aus demselben Grund ist auch die Idee der materiellen Kultur problematisch: Hier ist das Material, dort die Kultur – man bringt sie zusammen, und schon hat man die materielle Kultur.
Diese Logik des Machens – man nimmt ein bisschen Material hier und ein bisschen Kultur dort, etwas Substanz hier und etwas Form dort, und macht daraus ein Artefakt, indem man sie zusammensetzt – geht natürlich auf Aristoteles zurück. Vor langer Zeit schon vertrat Aristoteles die These, dass etwa ein Bildhauer, wenn er eine Skulptur gestalten will, mit einem Marmorblock sowie mit der in seinem Kopf vorhandenen Idee der Form beginnt, die er daraus erschaffen will – sei es das Bild eines Gottes oder einer berühmten Persönlichkeit –, um dann so lange an dem Marmorblock herumzumeißeln, bis die Form des Marmors der Idee in seinem Kopf entspricht. Es war also Aristoteles, der die These vertrat, ein Ding mache man, indem man einen formlosen Klumpen Materie und eine immaterielle Form nimmt und beides zusammenfügt. Da das klassische griechische Wort für Materie hyle und das für Form morphe lautete, wurde die Idee, dass man beim Machen Materie und Form miteinander verbindet, unter der Bezeichnung hylemorphisches Modell bekannt. Seither gibt es in der westlichen Denktradition diese Idee des Machens, des Einer-Substanz-eine-Form-Aufzwingens, und in vieler Hinsicht ist diese Idee zunehmend zur vorherrschenden geworden.
Ich hatte daher das Gefühl, dass wir zunächst dieses hylemorphische Modell dekonstruieren müssen. Dabei haben mich die philosophischen Schriften Gilbert Simondons inspiriert. Da sie auf Französisch verfasst und bislang größtenteils nicht übersetzt wurden, sind Simondons Werke außerhalb seiner Heimat Frankreich nach wie vor kaum bekannt und hatten bislang nicht den Einfluss, den sie verdienen. Bereits in seinen Schriften der 1960er Jahre wandte Simondon sich ausdrücklich gegen den Hylemorphismus. Er führte ein Konzept ein, das er als Individuation bezeichnete. Diesem Konzept zufolge muss man die Erzeugung von Dingen wie etwa Artefakte, Gegenstände oder Möbel als einen Prozess des Wachstums, als einen ontogenetischen Prozess begreifen. Wenn wir über Organismen, Menschen inbegriffen, sprechen, sagen wir, sie wachsen, d.h. sie durchlaufen einen Prozess der biologischen Entwicklung, und der technische Begriff hierfür lautet »Ontogenese«. Alle lebenden Organismen machen eine ontogenetische Entwicklung durch, während sie vom Embryo oder ungeborenen Fötus zum Reifestadium heranwachsen. Simondon war der Auffassung, wir müssten die Erzeugung der Formen von Artefakten auf dieselbe Weise verstehen, also als ontogenetischen Prozess, in dessen Verlauf die Form aus diesem Prozess hervorgeht.
Um sein Argument zu veranschaulichen, wählte er als Beispiel eine Herstellungsart, die oberflächlich betrachtet all das zu bestätigen scheint, was Aristoteles über den Hylemorphismus gesagt hat, sprich darüber, wie man Dinge macht, indem man der Materie eine Form aufzwingt. Simondons Beispiel war die Fabrikation von Ziegelsteinen. Traditionellerweise verteilt man bei der Herstellung von Ziegeln Brocken feuchten Lehms in einen rechteckigen Holzkasten. Man sollte nun annehmen, dass dies ein einfaches Formgebungsverfahren ist: Man hat die geometrisch regelmäßige, rechteckige Pressform, man hat das formlose Rohmaterial (den Lehm), man gibt den Lehm in die Pressform, und auf diese Weise wird die Form dem Material aufgezwungen. Doch Simondon zeigt, dass eigentlich etwas ganz anderes passiert. Zum einen muss man den Lehm vorbereiten; man muss ihn aus der Erde ausgraben, die in ihm enthaltenen Unreinheiten beseitigen, ihn solang schlagen und kneten, bis er hinreichend weich und geschmeidig ist, um sich der Pressform anzupassen. Darüber hinaus muss man die Pressform aus einem harten Holz, normalerweise Buche, tischlern (das Holz muss hart sein, um dem Druck standzuhalten). Deshalb vertrat Simondon die Ansicht, dass hier keineswegs einem Material eine Form aufgepresst werde, sondern dass dies zwei verschiedene Prozesse seien, sprich das Herstellen der Gussform und die Herstellung des Lehms, die an einem bestimmten Punkt zusammenkämen. Es handle sich hier also nicht darum, dass der Materie eine Form aufgezwungen werde, sondern um eine Gegenüberstellung gleicher und entgegengesetzter Kräfte, die im Lehm und in der Pressform immanent vorhanden seien, dergestalt, dass die Form des Ziegels als eine Art transitorisches Gleichgewicht entsteht, das dann fest verortet wird, indem man den Ziegel anschließend brennt. Genau dieselbe Art simondonianischer Analyse ließe sich auch mit Max Lambs Sandgussverfahren durchführen. Er zwingt nicht einfach dem flüssigen Material des Metalls eine Form auf, die er zuvor im Sand geschaffen hat, sondern tatsächlich haben wir es hier mit zwei verschiedenen Prozessen zu tun: zum einen mit der Vorbereitung und Gestaltung des Sandes und zum anderen mit dem Vorgang des Erhitzens und der Verflüssigung des Metalls. Und dann gibt es da noch die komplizierte körperliche Bewegung, die erforderlich ist, um das Metall so in die Gussform zu gießen, dass es nicht außer Kontrolle gerät und ausläuft. Das ist alles andere, als der Materie einfach eine Form aufzuzwingen, und Max’ verschiedene Projekte veranschaulichen dies sehr gut.
Obwohl Simondons Werk international also kaum bekannt ist, wurde es von dem Philosophen Gilles Deleuze und dem Psychoanalytiker Félix Guattari in ihrem Werk Milles Plateaux begeistert aufgegriffen. Sie wandten sich darin genau aus dem Grund gegen das hylemorphische Modell, weil es von der Idee einer festen Form ausgeht – der Form, die dem Macher angeblich vor dem geistigen Auge steht – sowie von einem vollkommen homogenen Rohmaterial. Der Prozess des Machens funktioniert Deleuze und Guattari zufolge jedoch nicht so. Denn zum einen ist die Form nicht festgelegt, son-dern variiert auf unterschiedlichste Weise, und zum anderen ist kein Material, mit dem irgendjemand jemals arbeitet, homogen. Eines der Beispiele, das sie verwenden und das seinerseits durch Max’ hölzernen Hocker exemplifiziert wird, ist das Spalten von Holz. Wenn man eine Axt nimmt (oder im Falle von Grünholztechnik einen Keil), um einen Klotz zu spalten, zwingt man dem Klotz keine Form auf, sondern man versucht, die Maserung zu finden und dann werden die Axt oder der Keil ihr folgen. Die Linie, der sie folgen, ist eine, die bereits in das Holz hineinwuchs, als es noch Teil eines lebenden Baumes war und damit Teil seines Wachstumsprozesses. Das Material, mit dem man arbeitet, ist daher weder formlos noch homogen.
Es hat bereits Wachstumslinien, es hat eine Maserung, und der Macher ist nicht jemand, der dem Material eine Form aufzwingt, sondern jemand, der die Maserung findet und sie dann einem sich entwickelnden Zweck anpasst. Ich denke, genau darum geht es beim Machen; es geht nicht darum, dem Material eine Form aufzuzwingen, sondern die Maserung des Weges der Welt-Werdung zu entdecken und ihn dann in diese oder jene Richtung zu lenken, damit er mit dem übereinstimmt, was deine eigene sich entwickelnden Absicht als Designer oder Macher sein könnte. Deleuze und Guattari argumentieren daher, und ich stimme ihnen darin zu, dass der Kunsthandwerker, der Macher oder der Handwerker eine Person ist, die dem Material folgt, die dem Weg nachgeht, den es beschreitet. Und indem sie ihm folgen, werden sie von einer »Intuition in Aktion« geleitet.
Doch dies bringt uns auf eine andere Frage: Was ist ein Material? Wie können wir sagen, was ein Material ist? Diese Frage lässt sich nur sehr schwer beantworten. Man kann leicht sagen: »Das ist Holz, das ist Metall, das ist Hartzinn, das ist Zinn.« Doch wovon reden wir, wenn wir das sagen? Was ist Holz, was ist Zinn, was ist Kupfer? Was meinen wir, wenn wir von Materialien sprechen? Der naturwissenschaftliche Chemiker wird Materie natürlich unter dem Gesichtspunkt ihrer invarianten atomaren oder molekularen Beschaffenheit begreifen: Wasser besteht aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom, Salz aus einem Natriumatom, das mit einem Chloratom verbunden ist. Wo immer man es mit Wasser und wo immer man es mit Salz zu tun hat, hat man es mit diesen beiden atomaren Verbindungen zu tun. Allerdings ist Wasser ein ebenso interessanter wie einschlägiger Fall. Zwar könnte seine molekulare Struktur kaum einfacher sein, und doch sind die Eigenschaften von Wasser – das, was Wasser unter verschiedenen Bedingungen tut – nach wie vor so komplex, dass es sich einem restlosen Verständnis entzieht. So weiß beispielsweise nach wie vor niemand, warum Eis rutschig ist. In chemischer Hinsicht gibt es nach wie vor viele Dinge, die wir nicht ein-mal bei ganz einfachen Stoffen begreifen. Ihr tatsächliches Verhalten entzieht sich unserem Verständnis. Der Machende ähnelt also weniger einem wissenschaftlichen Chemiker als einem Alchemisten.
Ich habe sowohl bei meiner eigenen Arbeit als auch der meiner Kollegen festgestellt, dass wir, indem wir uns mehr für die Materialien selbst interessieren und für das, was sie tun, beginnen, mehr wie Alchemisten zu denken und größere Achtung vor dem haben, was diese erreichten. Die Alchemisten interessierten sich nicht dafür, was ein Material ist, sondern sie wollten wissen, was es tut, was mit einem Material geschieht, wenn man es mit anderen Materialien mischt, es erhitzt oder abkühlt oder es auf eine besondere Weise behandelt. Das ist auch das, was ein Koch wissen möchte. Ein Koch, der in der Küche experimentiert, kombiniert verschiedene Zutaten miteinander und sieht sich an, was mit ihnen geschieht, wenn man sie erhitzt oder kocht, sie einfriert oder abkühlt. Daher ähnelt derjenige, der etwas macht, der mit Materialien arbeitet, einem Alchemisten; er interessiert sich nicht dafür, was die Materialien sind, sondern was sie tun. Kurzum, Materialien sind das, was sie tun. Ein Material zu definieren oder zu spezifizieren bedeutet also gewissermaßen eine Geschichte davon zu erzählen, was mit ihm passiert, wenn man es auf eine bestimmte Weise behandelt. Gold etwa ist ein Element im Periodensystem, und der Chemiker oder der Naturwissenschaftler würde es auch als solches definieren. Doch wäre man ein Alchemist, würde man sagen, dass Gold gelblich schimmert, dass es unter fließendem Wasser noch heller leuchtet und zu Blattgold gehämmert werden kann.
In den 1960er Jahren schlug der Handwerker und Möbeldesigner David Pye eine Unterscheidung zwischen dem vor, was er als die Eigenschaften, und dem, was er als die Qualitäten von Materialien bezeichnete. Er vertrat die These, die Eigenschaften von Materialien seien durch das gegeben, was sie sind. Sie haben eine bestimmte Dichte, ein bestimmtes Gewicht und einen bestimmten Zugwiderstand, die man durch sorgfältige wissenschaftliche Tests oder Experimente ermitteln kann. Die Qualitäten von Materialien hingegen seien Ideen in den Köpfen der Menschen. Wir schreiben Dingen bestimmte Qualitäten zu, doch diese sind nichts als Produkte unserer Vorstellungskraft. Damit wird lediglich die Unterscheidung zwischen Geist und Materie reproduziert, die wir auf die Probe stellen und von der wir uns befreien wollen. Wenn es um die Eigenschaften von Materialien geht, ist es, glaube ich, besser diese Eigenschaften als etwas anzusehen, das zum Wissensschatz von Praktikern gehört und auf den Erfahrungen beruht, die diese im Laufe ihrer lebenslangen Arbeit mit diesem Material gesammelt haben. Und das bedeutet, dass es sich, wenn wir über die Eigenschaften von Materialien sprechen, tatsächlich um Geschichten darüber handelt, was mit diesen Materialien geschieht.
In gewisser Hinsicht könnte man sagen, dass Materialien nicht wirklich existieren. Vielmehr machen sie im Verlauf der Zeit weiter oder sie dauern an. Jedes Material ist irgendwie ein Werden; es ist nicht ein Objekt an sich, sondern ein Potenzial, etwas zu werden. Ein Material zu beschreiben, bedeutet daher meines Erachtens das Formulieren eines Rätsels. Es ist ein Rätsel, das dem Material seine Stimme verleiht. Die Antwort entdeckt man dann, indem man das, was da ist, beobachtet und sich darauf einlässt. Mittelalterliche Texte sind voll von Rätseln dieser Art. Ich könnte eines für Sie erfinden, und es würde ungefähr so lauten: »Ich schimmere gelblich. Unter fließendem Wasser leuchte ich noch heller. Hämmere auf mich ein, und ich werde dünner. Was bin ich?« Die Antwort lässt sich durch bloße Beobachtung ermitteln, dadurch, dass man sich in der Welt umsieht und herausfindet, was auf diese Beschreibung passt. Wir nennen es »Gold«. Doch wir benötigen dieses Wort überhaupt nicht. Wir wissen durch Beobachtung, durch unser Involviertsein in der Welt, wovon wir sprechen.
Der Kunsthandwerker, der Handwerker, der Macher ist also jemand, der ständig auf die Bewegungen des ihn umgebenden »Stoffs« achten muss und die Bewegung seines oder ihres eigenen äußersten Bewusstseins in Übereinstimmung mit den Bewegungen der ihn oder sie umgebenden Materialien bringen muss. Das Machen von etwas ist daher ein Frage- und Antwortmodus, bei dem der Macher dem Material eine Frage stellt und das Material darauf antwortet, der Macher eine weitere Frage stellt, das Material erneut antwortet, usw.. Jeder antwortet auf den anderen. Ich benutze den Begriff Korrespondenz, um dieses wechselseitige Aufeinander-Antworten zu erfassen. Beim Machen folgt der Macher dem Material, und der Prozess des Dem-Material-Folgens ist eine Korrespondenz zwischen dem Strömen des Materials sowie dem Bewegen und Strömen des Bewusstseins des Machers. Man könnte das Strömen des Materials als eine Wellenlinie zeichnen und den Bewusstseinsstrom als eine andere, die mehr oder weniger parallel zueinander verlaufen. Bei der Korrespondenz geht es darum, diese beiden Linien in Übereinstimmung miteinander zu bringen. Um eine Analogie aus der Musik zu bemühen, ist es so, wie wenn zwei Melodielinien kontrapunktisch aufeinander reagieren.
Was ich ablehne, ist das »Einfrieren« des Strömens der Materialien in die Form eines Objektes und das Einfrieren des Bewusstseinsstroms in die Form eines Bildes, was zu der Idee führt, das Machen sei eine Interaktion zwischen Bild und Objekt. Für mich geht es beim Machen überhaupt nicht um Bilder und Objekte, sondern um das Verbinden von Bewusstsein, Bewegungen und Gesten mit den Materialkräften und -strömen, die ein Werk entstehen und heranreifen lassen. Das Wichtige, was man im Hinblick auf diese Ströme anerkennen muss, ist, dass sie Dinge nicht aneinander koppeln. Um eine nützliche Metapher von Deleuze und Guattari aufzugreifen, stelle man sich einen Strom vor, der zwischen zwei Ufern dahinfließt. Man kann sich den einen Ort A am einen Ufer des Flusses vorstellen und einen anderen Ort B auf der anderen Seite. Und man könnte eine Brücke bauen und den Fluss von A nach B überqueren. Das Wasser des Flusses strömt nicht von irgendeinem Ort zu irgendeinem anderen Ort. Sondern es fließt einfach weiter, zwischen den Ufern des Flusses, in einem 90°-Winkel zu der Linie zwischen A und B. Es läuft entlang und nicht quer hinüber. Diesen Strömen müssen wir unsere Aufmerksamkeit schenken, wenn wir das Machen verstehen wollen. Während die Linien, die wir zwischen Objekten oder zwischen Objekten und Personen ziehen können, Linien sind, die verbinden, wie die Linie über die Brücke von A nach B, verbinden die Fließlinien von Materialien und Bewusstsein sich nicht, sondern verschränken sich. Sie bilden kein Netzwerk [network], sondern ein Geflecht [meshwork]. Und der Übergang vom Sprechen über Objekte und ihren Beziehungen zu Materialien sowie ihren Verstrickungen entspricht dem Übergang von einer netzwerkartigen zu einer geflechtartigen Auffassung. Diese geflechtartige Auffassung korrespondiert, meine ich, sehr stark mit der Vorstellung, die der Ökologe vom Gewebe des Lebens hat. Und sie bedeutet, dass wir nicht nur zwischen Objekten und Materialien unterscheiden müssen, sondern auch zwischen Objekten und Dingen.
Das Wort »Objekt« ist sehr problematisch, und viele von uns wären gerne imstande, es ad acta legen zu können. Zunächst einmal ist es deshalb problematisch, weil man bei seiner Nennung automatisch denkt: »Wo Objekte sind, muss es auch Subjekte geben« und die Subjekt/Objekt-Dichotomie hat eine Menge schwieriger Probleme aufgeworfen, nicht zuletzt das der cartesianischen Aufspaltung in Körper und Geist. Die meisten Philosophen stimmen darin überein, dass diese Dichotomie beseitigt werden muss. Doch es gibt zahlreiche miteinander konkurrierende philosophische Lager, und jedes dieser Lager, das für sich in Anspruch nimmt das Problem gelöst zu haben, wie die Dichotomie überwunden werden kann, wirft seinen Rivalen vor, sie im eigenen Diskurs lediglich zu reproduzieren. Für diejenigen, die diese obskuren Debatten von außen betrachten, ist das alles recht ermüdend. Nach meinem Empfinden ist das eigentliche Problem im Hinblick auf das Objekt und übrigens auch im Hinblick auf das Subjekt weder das Ob- noch das Sub-, sondern das -jekt. Es impliziert eine bereits geworfene, schon in eine feste und endgültige Form gegossene Entität. Es konfrontiert uns von Angesicht zu Angesicht mit einer vollendeten Tatsache. Doch wenn wir andererseits über Materialien sprechen, so sind sie immer im Werden begriffen. Alles ist etwas, doch etwas zu sein bedeutet immer auf dem Weg zu sein, etwas zu werden. Materialien sind sozusagen im Werden begriffene Wesenheiten.
Der Schritt weg von einer Konzentration auf Objekte hin zu einer Konzentration auf Materialien entspricht dem Übergang von einer Philosophie des Seins zu einer Philosophie des Werdens. Das, was wir als Dinge bezeichnen, sind Ansammlungen von in Bewegung befindlichen Materialien. Die Unterscheidung zwischen Objekten und Dingen geht auf die Philosophie Martin Heideggers zurück. Für Heidegger ist der Gegenstand »da draußen«, er ist ein fait accompli, das dem Menschen »entgegensteht«. Das Ding hingegen muss als eine Ansammlung von in Bewegung befindlichen Materialien verstanden werden. Ein Ding berühren oder beobachten heißt daher, die Bewegungen unseres eigenen Seins (oder vielmehr Werdens) in Übereinstimmung mit den Bewegungen der Materialien zu bringen.
Das letzte Argument, um das es mir geht, ist, dass wir, wenn wir Dinge auf diese Weise betrachten – nämlich als Ansammlungen von Materialien, die sich in Bewegung befinden – selbst ebenfalls Dinge sind. Menschen, sprich wir, sind lebende Organismen, und als Organismen sind wir ebenfalls Ansammlungen von Materialien in Bewegung. Tatsächlich sind wir ganze Ökosysteme. Soviel ich weiß, gehören, den letzten Untersuchungen zufolge, 90% der Zellen des menschlichen Körpers zu verschiedenen Arten von Bakterien, doch das ist eine andere Geschichte. Als Ansammlungen von Materialien erinnern Menschen ein wenig an Komposthaufen. Wenn man den »Deckel« eines Menschen abnehmen würde, sähe man darunter eine sich windende Masse von Aktivitäten, wie die Würmer, von denen ein gesunder Komposthaufen wimmelt. Und ein entscheidender Aspekt lebender Körper, menschlicher oder nicht-menschlicher, ist, dass sie vermittels der Prozesse der Atmung und des Stoffwechsels ständig Materialien aus ihrer Umgebung aufnehmen und sich in diese entladen. Einfach gesagt: Um zu leben, müssen wir atmen und essen und unseren Darm entleeren. Der Organismus kann nur wegen dieses kontinuierlichen Austauschs von Substanzen über seine Membran oder Außenhaut weiterleben. Ganz allgemein gesagt, dauern Dinge an, d.h. sie machen weiter, weil sie undicht sind, weil sie über stets emergente Oberflächen, mittels derer sie sich von ihrer Umwelt abgrenzen, Materialien austauschen. Die Körper von Organismen und, ja, auch die anderer Dinge sind stets undicht; in der Tat hängt ihr Leben davon ab, dass sie undicht sind. Und meiner Ansicht nach ist dieser Perspektivenwechsel von abgedichteten Objekten zu un-dichten Dingen, dasjenige, was das, das ich als eine Ökologie der Materialien bezeichnen möchte, von den gängigen Untersuchungen zur materiellen Kultur unterscheidet.
ist Professor für Sozialanthropologie an der University of Aberdeen. Zur Exemplifizierung seiner theoretischen Arbeit zu Technologien und Lebensumständen am Nordpol, Evolutionstheorie, Sprache und Werkzeuggebrauch und Umweltwahrnehmung unternahm er zahlreiche Feldforschungen in Lappland. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten beleuchtet er die Schnittstellen von Anthropologie, Archäologie, Kunst und Architektur.
Kerstin Stakemeier (Hg.), Susanne Witzgall (Hg.)
Macht des Materials – Politik der Materialität
Broschur, 256 Seiten
Vergriffen
PDF, 256 Seiten
Seit einigen Jahren lässt sich in den Künsten und den Wissenschaften eine zunehmende Neufokussierung auf materielle Phänomene beobachten. Unterschiedlichste Disziplinen heben die Eigendynamik und Wirkungsmacht von Materie, Material und Dingen hervor und betonen deren Status als Akteure in den Beziehungsgeflechten von Kultur und Natur. Das Buch »Macht des Materials – Politik der Materialität« vertieft diesen aktuellen Diskurs und setzt materialistische Tendenzen in Kunst, Design und Architektur erstmals in direkten Dialog mit verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen eines »Neuen Materialismus«. Die vorliegende Publikation ist Ergebnis des ersten Jahresprogramms des neu gegründeten cx centrum für interdisziplinäre studien an der Akademie der Bildenden Künste München.