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Daniel Hornuff: Lehrauftrag
Lehrauftrag
(S. 191 – 196)

Fehlende Sprossen in akademischen Karriereleitern

Daniel Hornuff

Lehrauftrag

PDF, 6 Seiten

In der Fernsehsendung Frontal 21 ging es am 27. März 2012 um das Thema »Ausbeutung in der Bundesrepublik«. Im Fokus standen »Lehrknechte und Betteldozenten«. Gemeint waren damit vor allem Lehrbeauftragte an deutschen Hochschulen und Universitäten. Versprach der Titel der Reportage bereits eine dramatische Anklage, so überraschte nicht, als es auch der Beitrag an Drastik nicht mangeln ließ. Zugeschnitten war er auf eine Lehrbeauftragte, »die aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht erkannt werden will«. Die Anonymisierte fühle sich, so der Kommentar, als »Tagelöhner«. Sie selbst sprach von »starke[m] psychische[m] Druck« bei ihrer Tätigkeit und wusste von einem Kollegen zu berichten, der »als freiberuflich Lehrender ein Burnout erlebt hat und am Abgrund steht«.

Seit einigen Jahren ist es zur Mode geworden, Lehrbeauftragte pauschal als »Null-Euro-Jobber«, »Billigjobber«, »Moderne Tagelöhner mit Doktorhut« oder »Uni-Sklaven« zu bezeichnen – und ihre Situation als generell »prekär« und »skandalös« zu deuten. Dass es sich dabei tatsächlich um eine modische Kritik handelt, zeigt sich an Dozenten, welche die öffentliche Anklage zu einem – ihrem – Sport erklärt haben. Vergleicht man die Medienberichterstattungen zum Thema »Lehrauftrag« der letzten Jahre, fällt auf, dass überwiegend dieselben Dozenten auf den Plan treten. Sie haben sich darauf spezialisiert, aus tragisch verkorksten Berufs- und Lebenswegen Indizien für universitäre Ausbeutung und gezielte Verarmung des akademischen Personals abzuleiten. Als Lehrbeauftragte der Universitäten fühlen sie sich zugleich als Wehrbeauftragte der Moral. Sie wollen verteidigen, was ihnen ein vermeintlich entfremdendes Bildungssystem versagen möchte.

Doch zu den Fakten: Die Vergütung von Lehraufträgen variiert von Bundesland zu Bundesland, Vor- und Nachbereitungen des Unterrichts werden nicht bezahlt, zusätzliche Prüfungsbeteiligungen meist schon, doch Kosten für Fahrt und Unterkunft sind nicht überall erstattungsfähig. Generell gehen Hochschulen kein Angestelltenverhältnis mit ihren Lehrbeauftragten ein. Diese sind demnach im juristischen Sinne keine Mitglieder der Hochschulen, verfügen also – wie alle an der Hochschule freischaffend Beschäftigte – über kein Wahlrecht für Gremien und müssen sich den Zugang zur Infrastruktur der Beschäftigungsstätte genehmigen lassen. Lehraufträge werden in der Regel semesterweise und nur von Seiten der Hochschulen vergeben, können ohne Begründung zurückgenommen oder nicht verlängert werden. Zudem haben Hochschulen das Recht, Lehraufträge ohne Vergütung zu erteilen.

Man mag in diesen Rahmenbedingungen eine Voraussetzung zur Ausbeutung sehen. Wie überall wird es auch im Lehrauftragswesen Fälle geben, die himmelschreiend ungerecht verlaufen und sich zu einseitiger Vorteilsnahme auswirken. Und unbestritten ist, dass die durchschnittliche Lehrauftragsvergütung mit Honoraren aus der freien Wirtschaft nicht konkurrieren kann. Wer als Lehrbeauftragter die Fahrt nicht erstattet bekommt, die abgehaltene Veranstaltung vor- und nachbereitet, für Fragen der Studierenden ansprechbar bleibt und Hausarbeiten und ↑ Klausuren korrigiert, wird einen Stundensatz im unteren einstelligen Bereich verbuchen müssen – von dem neben Lebenshaltungskosten noch Kranken- und Sozialversicherungsbeiträge abgehen. Hinzu kommt, dass die Beschäftigungsformen von Lehrbeauftragten qua Bestimmung langfristig nicht planbar sind und folglich von Ungewissheit begleitet werden. Kurzum: Kein Mensch kann in Deutschland von einem Lehrauftrag leben.

Muss er aber auch nicht. Lehraufträge sind wie alle anderen Aufträge abzulehnen, durch andere zu ersetzen oder zu ergänzen. Im Gegensatz zu Privatdozenten sind nicht habilitierte Wissenschaftler zur Abhaltung von Lehrveranstaltungen nicht gezwungen. Die Situation von Lehrbeauftragten im Allgemeinen mit denen von Privatdozenten im Speziellen gleichzusetzen, läuft auf einen schiefen Vergleich hinaus: Schließlich behält das »PD« vor dem Namen nur, wer – im Zweifelsfall über Jahre hinweg unentgeltlich – Lehrveranstaltungen abhält. Tatsächlich nutzen viele Hochschulen die schwierige Übergangsphase habilitierter Wissenschaftler auf ihrem Weg zur Professur, um Lücken im Lehrbedarf kostengünstig zu schließen. Nicht habilitierte Lehrbeauftragte, die ihre Lage mit Verve betrauern, besetzen hingegen eine andere Kategorie: Es gleicht einem Akt der Schizophrenie, wenn ein Auftrag zur Lehre, dessen Bedingungen transparent sind, erst angenommen und dann – wegen seiner Bedingungen – beklagt wird. So wird die öffentliche Finanzierung der eigenen Tätigkeit zum öffentlichen Jammern genutzt. Eine bodenlose Arroganz, die sich nur leisten kann, wer in erster Linie andere in der Verantwortung für sein persönliches Weiterkommen sieht.

Umgekehrt kann nicht aus dem Blick geraten, dass akademischen Karriereleitern an entscheidenden Stellen Sprossen fehlen; und dass diese Löcher allzu gerne durch die Vergabe von Lehraufträgen mehr reflexhaft als überlegt geschlossen werden. Vor allem Nachwuchswissenschaftler, denen nicht das Privileg einer Stipendienförderung (↑ Begabtenförderung) zukommt, ergreifen Lehraufträge, da sie ihnen oft die einzige Möglichkeit einer universitären Anbindung bieten. Doch hier offenbart das System seine ganze Härte: Der angenommene Lehrauftrag kann gerade hier die Lebenshaltungskosten bei weitem nicht decken, und weitere Engagements sind nur auf Kosten der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit – wie etwa zu Lasten des Promotionsverfahrens – zu ergreifen. So bildet sich eine prekäre Lebenssituation aus, die als Qualifizierungsphase begriffen wird und gleichzeitig mit Stagnationserfahrungen durchsetzt ist. Der Lehrauftrag dient in solchen Fällen nicht der Chancensteigerung einer akademischen Laufbahn, sondern wird als Mittel eingesetzt, systemisch bedingte Schwächen akademischer Aufstiegsmöglichkeiten zu kaschieren. Die flexible Handhabung der Lehrauftragsvergaben setzt in vielen Fällen falsche Anreize – und suggeriert Hochschulen und Universitäten, ein gestiegenes Kontingent an Lehraufträgen entbinde sie vom Bemühen zum Ausbau fester Stellen im Mittelbau.

In derartigen Konstellationen kann eine solche – spezielle – Kritik an der Praxis des akademischen Lehrauftragswesens nicht massiv genug ausfallen. Gleichsam hat die verallgemeinernde und pauschalisierende Ächtung des Lehrauftrags zum Verblassen seiner Vorteile, Möglichkeiten und Chancen geführt. Schließlich sind einige Argumente, die gegen ihn in Stellung gebracht werden, auch zu seiner Befürwortung einzusetzen. Demnach bereitet seine zeitliche Befristung dem Dozenten nicht generell Unsicherheit, sondern gestattet ihm ebenso große Variabilität, ist es ihm doch bei einer Parallelfinanzierung möglich, innerhalb kürzester Zeit an vielen verschiedenen Hochschulen zu unterrichten, sein »Lehrportfolio« aufzustocken und eine durch eigene Erfahrungen gestützte Kenntnis der akademischen Landschaft zu gewinnen. Zudem ist er nicht an ein spezielles Fach gebunden, sondern kann versuchen, seine Fähigkeiten in unterschiedliche Fachbereiche einzubringen und folglich im besten Sinne interdisziplinär zu arbeiten.

Die fehlende Eingliederung in die jeweiligen Institute entlastet den Dozenten vom akademischen Tagesgeschäft, entbindet ihn von nahezu allen Verwaltungsaufgaben, nicht zuletzt von internen Querelen; und bewahrt ihn vor lästigen Aufgaben, die manch Professor allzu gerne auf seine Assistenzen abwälzt. Mit nur ein wenig Raffinesse wird er seine Unabhängigkeit als Souveränitätsvorteil geltend machen und den Studierenden Perspektiven anbieten, die ihnen fest angestellte Mitarbeiter nicht offerieren können oder dürfen.

Gerade Nachwuchswissenschaftlern ohne breitere Lehrerfahrung öffnen Lehraufträge ein einmaliges Übungsfeld, in dem eine eigene Lehrcharakteristik einzuüben und mit wechselnden Studentengruppen zu verfeinern ist – wenngleich damit noch keine finanzielle Gewissheit herzustellen ist. Unbestritten, ein solcher Trainingsprozess setzt inhaltliche, methodische und didaktische Geschmeidigkeit voraus – eine Anpassungsfähigkeit an variierende Anforderungen und Bedürfnisse –, doch sind dies Grundveranlagungen, die jedem beruflichen Werdegang zum Vorteil gereichen. Man muss die durchschnittliche Vergütung für zu gering halten, vor allem dann, wenn man qua beruflicher oder privater Situation nicht anders kann, als durch Lehraufträge seine Subsistenz zu sichern. Umgekehrt sollte jedem Wissenschaftler deutlich sein, dass seine Tätigkeit an Relevanz gewinnt, wenn sie sich in verschiedenen Bereichen entfalten kann und sich für unterschiedliche Menschen anschlussfähig darstellt.

Dabei neigen besonders Geisteswissenschaftler zu einer Scheuklappenpolitik und meinen, nur durch eine akademische Finanzierung ihr Aufgabenspektrum angemessen erfüllen zu können. Jedoch stellt es gerade für sie einen vornehmlichen Anreiz, ihre Fähigkeiten auch außerhalb der Hochschulen so ausrichten zu können, dass sich ihnen weitere Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten erschließen. Die pauschale, abrechnende Kritik am Lehrauftrag kommt demnach fast ausschließlich von Geisteswissenschaftlern, die eine gewisse Bequemlichkeit an den Elfenbeinturm bindet; die also nie ein gesteigertes Interesse an einer breiten Vermittlung ihrer Arbeit entwickeln wollten und somit sich selbst abhängig von Lehrauftragsbewilligungen gemacht haben. Sie sehen sich generell als Objekte der systemischen Verhältnisse, weil sie verpasst haben, sich als Gestalter ihrer eigenen Verhältnisse zu begreifen.

Lehraufträge bieten aber nicht nur den Auftragnehmern, sondern ebenso – so sie ihrer Verantwortungsrolle nachkommen – den Auftraggebern einmalige Chancen. Denn so prekär die Verhältnisse für viele Nachwuchswissenschaftler über Jahre hinweg sind – Lehraufträge können bei ihrem wohldurchdachten Einsatz eine wunderbare Möglichkeit der Nachwuchsförderung bieten. Wo Einzelstipendien oftmals den Nachteil einer völligen Herauslösung aus allen akademischen Bezügen zur Folge haben – und nicht selten eine intellektuelle Vereinsamung nach sich ziehen –, kann über Lehraufträge Wissenschaftlern Unterstützung durch eine Beteiligung am Lehrbetrieb gesichert werden. Neben eine zumindest kleine finanzielle Honorierung tritt dann eine wertvolle ideelle Entfaltungsmöglichkeit, von denen nicht nur Einzelne, sondern ganze Fakultäten, Institute, ja letztlich die Studierenden profitieren. Mit der besonnenen Vergabe von Lehraufträgen ist Nachwuchskräften ein Signal ihrer Wertschätzung zu senden, wird ihnen doch eine Einladung zum Verbleib an der jeweiligen Einrichtung ausgesprochen. Zudem wirkt sich das ausbleibende Angestelltenverhältnis auf die Dozenten nicht beschränkend aus, im Gegenteil: Die verbleibende üppige Zeit kann unbürokratisch für weitere Betätigungs- und Beschäftigungsformen genutzt werden, so es die wissenschaftliche Arbeit zulässt. Was als generelles Ausbeutungsmittel gebrandmarkt wird, erweist sich bei genauerer Betrachtung in speziellen Fällen als Geschäft, aus dem zwei Parteien gleichsam Vorteil ziehen.

Gänzlich aus dem Blick fallen der verabsolutierenden und schablonisierenden Lehrauftragskritik all jene Lehrbeauftragten, die keine akademischen Ambitionen verfolgen. Dabei liegt ein Gedanke des Lehrauftrags nicht zuletzt in der Einbeziehung außeruniversitärer Personen, die einen Brückenschlag zur Praxis leisten können. Es sind vor allem Vertreter aus Wirtschaft, Kultur, Journalismus und Politik, die wesentlich zur Öffnung der Universitäten beitragen. Sie werten Lehraufträge nicht als Einkommensquelle, sondern als besondere Auszeichnung, freuen sich also über die Möglichkeit, ihr Wissen einer nachwachsenden Generation übermitteln zu können. Zudem werden nicht selten durch solche Unterrichtsformen erste Kontakte zwischen Unternehmen, Institutionen und Studierenden geknüpft, so dass sich auch hier der Lehrauftrag als Doppelsieg-Strategie auswirkt und – bestenfalls – einen beiderseitigen ökonomischen Gewinn ausschüttet.

Es ist also höchste Zeit, die Kritik am Lehrauftrag zu differenzieren und ihr – wo es nötig scheint – ein Lob des Lehrauftrags an die Seite zu stellen. Wer als Lehrbeauftragter Lehraufträge kritisiert und ihnen eine immerwährende Ausbeutungsabsicht unterstellt, übersieht, dass das Bildungssystem im Idealfall nicht nur Chancengleichheit garantiert, sondern ebenso Wettbewerb stiftet. Die Sozialromantik der allgemeinen Lehrauftragskritik, die sich allzu gerne in die beschützenden Arme der Alma Mater wirft, muss einem erwachsenen Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten weichen. Und das bedeutet: seine Vorteile und Nachteile situationsbezogen abzuwägen, ihn also zu befürworten, wo er seine Vorteile ausspielt, und seine Praxis dort in Frage zu stellen, wo er Systemschwächen ausbügeln soll.

Gleichsam sollte nicht vernachlässigt werden, dass es sich bei Lehrbeauftragten zumeist im besten Sinn um unabhängige Geister handelt. Sie bereichern, frei von Verwaltungs- und Inhaltszwängen, die Hochschullandschaft und nehmen im Zweifelsfall hierfür prekäre Lebenssituationen auf sich. Dennoch können Lehraufträge keine vorsorgenden Wohlfühlprogramme für schutzbedürftige Wissenschaftler sein, sondern sollten stärker als bisher Instrumente zur Auffächerung des akademischen Betriebs anbieten. Die Unabhängigkeit des Lehrauftrags entfaltet Gefahren, wenn es an Möglichkeiten zur Gestaltung der eigenen Unabhängigkeit mangelt. Sie bietet hingegen all jenen eine Chance, deren Situation so beschaffen ist, dass sie zur Ausübung eigener Vorstellungen führen kann. Den pauschalisierenden Anklägern des Lehrauftrags sei die Einsicht in ihre verkürzende Sichtweise empfohlen. Sie übersehen nicht nur die Stärken des Lehrauftragswesens, sondern schaden zudem all jenen, die eine spezielle – abwägende – Systemkritik anbringen wollen.

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Daniel Hornuff

war von 2001 bis 2003 als Erziehungshelfer tätig. Danach studierte er Theaterwissenschaft, Germanistik, Komparatistik, Kunstwissenschaft und Philosophie an der Universität Leipzig und an der HfG Karlsruhe. Seit 2010 ist er Akademischer Mitarbeiter an der HfG Karlsruhe.

Unbedingte Universitäten (Hg.): Bologna-Bestiarium

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Bologna-Bestiarium

Broschur, 344 Seiten

PDF, 344 Seiten

»ECTS-Punkte«, »employability«, »Vorlesung« – diese und viele weitere Begriffe sind durch die Bologna-Reformen in Umlauf geraten oder neu bestimmt worden und haben dabei für Unruhe gesorgt. Die Universität ist dadurch nicht abgeschafft, aber dem Sprechen in ihr werden immer engere Grenzen gesetzt. Anfangs fremd und beunruhigend, fügen sich die Begrifflichkeiten inzwischen nicht nur in den alltäglichen Verwaltungsjargon, sondern auch in den universitären Diskurs überhaupt unproblematisch ein.

Das Bologna-Bestiarium versteht sich als ein sprechpolitischer Einschnitt, durch den diese Begriffe in die Krise gebracht und damit in ihrer Radikalität sichtbar gemacht werden sollen. In der Auseinandersetzung mit den scheinbar gezähmten Wortbestien setzen Student_innen, Dozent_innen, Professor_innen und Künstler_innen deren Wildheit wieder frei. Die Definitionsmacht wird an die Sprecher_innen in der Universität zurückgegeben und Wissenschaft als widerständig begriffen.

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